Hunderte Tonnen Salz in Flüsse eingeleitet

Hamburg/Gütersloh (nr). Salzeinleitungen sind nach Ansicht von Fachleuten die wahrscheinlichste Ursache für das Fischsterben in der Oder im August 2022. Laut Bundesumweltministerin Steffi Lemke muss die Oder-Katastrophe ein Weckruf für besseren Gewässerschutz sein. In der Klimakrise führen die langen Hitzeperioden dazu, dass Flüsse sehr viel weniger Wasser führen. Dann reagieren die Flussökosysteme anders auf die vielen Einleitungen, da ein Verdünnungseffekt mit Süßwasser ausbleibt.

 

 

Nach NDR-Recherchen sind seit Januar 2021 wohl gut 1.000 Tonnen Salz allein aus der niedersächsischen Erdgasförderung in verschiedene Flüsse und Bäche eingeleitet worden. Davon gingen 104 Tonnen Salz des Erdgasunternehmens Wintershall Dea über eine Kläranlage in die Lutter, einen Bach bei Gütersloh. Ein legaler Vorgang, genehmigt von den Behörden. Doch seit die Pegelstände von Flüssen durch die Dürreperioden sinken, ist das Einleiten salziger Abwässer problematischer geworden. Hohe Konzentrationen führen zu massenhaftem Sterben von Süßwasser-Organismen. Die Behörden müssten die Grenzwerte für das Einleiten von Chlorid-haltigen Abwässern anpassen. Doch das ist vielerorts offenbar nicht geschehen. So schreibt das Umweltministerium aus Nordrhein-Westfalen: „Aktuell gibt es in den wasserrechtlichen Regelungen keine konkreten Vorgaben zur Berücksichtigung von Niedrigwasserphasen.“

NDR-Recherchen zeigen, dass der Salzgehalt in dem Bach bei Gütersloh Ende August 2022 drei Mal höher war als es für den guten Zustand eines Flusses sein darf. Das hat die Untersuchung des Sachverständigen Dr. Rainer Gellermann ergeben, der in den vergangenen Jahren zahlreiche Untersuchungen an Kläranlagen durchgeführt hat.

Der zuständigen Aufsichtsbehörde war bekannt, dass ein Orientierungswert für den Salzgehalt drei Jahre hintereinander überschritten wurde. Man habe aber abwarten wollen, ob sich das Salz tatsächlich negativ auf die Biologie des Baches auswirke, so die Bezirksregierung Detmold auf Anfrage.

Die NDR-Recherchen zeigen, dass schon jetzt viele Tiere, die natürlicherweise in dem Bach vorkommen würden, nicht mehr vorhanden sind. Die DNA-Analyse einer Wasserprobe durch die Universität Duisburg-Essen konnte nur wenige Arten nachweisen, darunter fast keine der wichtigen und teilweise vom Aussterben bedrohte Steinfliegen, Köcherfliegen und Eintagsfliegen.

Typische Organismen für einen Süßwasserfluss könnten sich auch zukünftig nicht einstellen, wenn weiterhin Salz eingeleitet werde, so Prof. Florian Leese von der Universität Duisburg-Essen. Die Natur und der Mensch seien aber von dieser Biodiversität abhängig. Nur bei intakten und sauberen Gewässern könne sauberes Trinkwasser gewonnen werden, so der Experte für aquatische Ökosystemforschung.

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer will schädliche Einleitungen Schritt für Schritt beenden. Im Interview mit dem NDR Politikmagazin „Panorama 3“ erklärte er: „(…) die Industrie ist gefordert, eine Produktion zu haben, die nicht dazu führt, dass unsere Gewässer zum Abwasserkanal der Industrie werden.“

Der Bach bei Gütersloh ist nur ein Beispiel für eine zu hohe Salzkonzentration in Deutschlands Flüssen. „Panorama 3“ hat beim Umweltbundesamt die Chlorid-Werte aller Messstellen in Flüssen abgefragt und diese Hans-Jürgen Friedrich vom Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme vorgelegt. Der Experte für die Behandlung von Industrie- und Bergbauabwässern sieht auch an Saar, Ruhr, Emscher und Lippe sowie unter anderem an den Flüssen Werra, Weser, Fulda, Leine, Unstrut, Bode, Saale und Elbe einen Zusammenhang zwischen den erhöhten Chlorid-Werten und den dort ansässigen Industrien sowie den bergbaulichen Einflüssen.

Mehr dazu in der ARD-Mediathek, Sendung von „Panorama 3“ von Dienstag, 22. November 2022 um 21.15 Uhr im NDR-Fernsehen:

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Das stille Sterben im Abwasser »

Alexa Höber, Autorin des NDR-Beitrags: Ganz herzlich bedanken möchte ich mich beim Netzwerk Recherche und der gemeinnützigen Olin GmbH für die Förderung und Unterstützung der Recherche.

nrch.de/stipendien »

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