Ein Startup mit Tradition auf der LWL-Messe

Dortmund/Bad Lippspringe (lwl). Die LWL-Messe der Inklusionsunternehmen bringt Unternehmen, Menschen mit und ohne Behinderung, Entscheider:innen sowie Interessierte zusammen. Am 15. März findet sie bereits zum fünften Mal statt. In diesem Jahr erstmals in der Messe Dortmund, mit mehr Platz für die rund 130 Ausstellenden und unter dem Motto "Inklusion entfaltet". Die Josefs-Brauerei aus Bad Lippspringe (Kreis Paderborn) ist eines der Inklusionsunternehmen auf der Messe.

Eine gesunde Mischung aus Zufall und Herzblut rettete die Josefs-Brauerei, die erste Inklusionsbrauerei Europas, vor der Schließung. Nach dem Umzug nach Bad Lippspringe wird im Traditionsbetrieb gearbeitet wie in einem Startup. Wie das aussieht und wie man gleichzeitig Gutes trinken und Gutes tun kann, zeigt ein Besuch vor Ort.

Wenn es mal hektisch zugeht, zählt jedes Paar Hände. Egal woher. Und in der Josefs-Brauerei ist nach der Neueröffnung ein gesundes Maß an Hektik Teil der Normalität. "Eigentlich gibt es uns schon seit 22 Jahren, aber im Endeffekt sind wir wie ein Startup", erklärt Victoria Schulte-Broer, die Inklusionsbeauftragte des Unternehmens.

Alle Hände sind gefragt
Die Dynamik zieht sich durch die ganze Brauerei, in der sieben der 13 Beschäftigten mit einer Schwerbehinderung arbeiten. Den Transporter fährt heute zum Beispiel Guido Hentze, einer der sechs Gesellschafter des Unternehmens. Den ganzen Vormittag huscht der Paderborner Unternehmer von einer Ecke des neuen Fabrikgeländes in die andere. Erst ein unangekündigter Besuch des Kreisbauamtes, dann muss er kassieren, ein Interview geben und jetzt noch ausliefern.

Zwischendurch unterbricht die Titelmelodie der "Glorreichen Sieben" das Geschehen; Hentzes Klingelton. Noch ist alles ein Lernprozess: "Wir sind einfach ins kalte Wasser gesprungen und sagten 'Yeah, jetzt fangen wir an zu schwimmen.'"

Trotz des (produktiven) Trubels kann Schulte-Broer ein positives erstes Fazit ziehen. Das Fest zur Neueröffnung war ein gutbesuchter Erfolg, die ersten lokal gebrauten Biere sind in der Flasche, seit zwei Wochen läuft die Dosenabfüllung und am nächsten Tag steht die erste Führung an. Das Rezept für den Erfolg? Zum einen die motivierten Kollegen, die sich an einem Arbeitsplatz engagieren "an dem sie mit Respekt und gleichbehandelt werden." Dafür arbeiten sie gerne und vor allem auch gut. Zum anderen die neuen Gesellschafter, die auch mal mit in die Bresche springen, wenn es brennt:

"Unsere Chefs sind glaube ich ganz gute Glücklichmacher", sagt Schulte-Broer und grinst. Das helfe beim Neustart ungemein.

Puzzles und Zufälle
Die Brauerei war bei ihrer Eröffnung 2000 in Olsberg die einzige Inklusionsbrauerei Europas. Nachdem das Unternehmen im Frühjahr 2020 coronabedingt schließen musste und finanzielle Schwierigkeiten anmeldete, stand die Zukunft des Betriebs auf der Kippe. Ralf Eckel, einer der sechs Gesellschafter und selbst Vater eines behinderten Sohnes, hörte durch Zufall von der möglichen Schließung - und sah Handlungsbedarf.

"Ralf kam zu uns und sagte 'Komm, wir machen mal eine Brauereibesichtigung'", erinnert

sich Hentze. Auf der Hinfahrt eröffnete Eckel der Gruppe das eigentliche Anliegen: Diese inklusiven Arbeitsplätze dürfen nicht wegfallen - und man selbst könne dafür was tun. Schon am nächsten Morgen waren alle sechs bei dem Projekt an Bord.

In Bad Lippspringe hatten die Paderborner Gesellschafter, die schon verschiedene Unternehmen gemeinsam geführt haben, erst kürzlich ein großes Gelände erworben. Für die in Schieflage geratene Brauerei ideal: Um das Unternehmen wirtschaftlich neu aufzustellen, bot sich hier der perfekte Platz für neue und vor allem größere Anlagen.

Aber wie zieht eine Brauerei um? Die Reise der Produktionsstrecke von Olsberg nach Bad Lippspringe führte laut Schulte-Broer zum "größten Puzzle Deutschlands" das vor Ort erstmal gelöst werden wollte. Hier waren die unterschiedlichen Kompetenzen der Gesellschafter von Vorteil, jeder kannte seinen Part und man konnte sich gut ergänzen, erinnert sich Hentze.


Rückkehrer und Reisende
Auch mit von der Partie war die alte Belegschaft. Ein Großteil der Mitarbeiter:innen in Olsberg, Menschen mit Behinderung, die teilweise Jahre in dem Betrieb gearbeitet hatten und schon andere Zukunftspläne schmiedeten, kamen noch einmal zurück, um den Betrieb am Laufen zu halten. Allen wurde ein Übernahmeangebot gemacht. Zwar kam schließlich nur einer mit nach Bad Lippspringe, für alle Mitarbeiter wurde aber eine Anschlussbeschäftigung gefunden.

Ebenfalls unerlässlich für den geglückten Umzug war die Expertise von Braumeister Wolfgang Mehringer (32). Der Bayer ist in Brauereien aufgewachsen und kann bei der Frage, ob er etwas anderes kenne, nur lachen, "Immer Brauerei." Er ist seit 2018 im Betrieb und war somit schon am alten Standort tätig. Nach seiner Ankunft in Ostwestfalen wurde zunächst das Weizen optimiert.

Große Unterschiede zur Arbeit in anderen Brauereien sieht Mehringer nicht. Der Automatisierungsgrad sei etwas geringer, um die inklusiven Arbeitsplätze zu sichern. Von der Konkurrenz unterscheide man sich eher im Prozess und Geschmack. Die traditionelleren Brauweisen, wie liegende Tanks, eine richtige Nachgärung und die langen Lagerzeiten führen zu einem Sortiment "das sich schon ein bisschen abhebt." Am neuen Arbeitsplatz schätzt er insbesondere die vergrößerten Produktionsmöglichkeiten, mit bis zu 20.000 Hektoliter pro Jahr ginge schlicht deutlich mehr als in Olsberg.

Dirk Witt hat den Umzug mitgemacht. Seit 2014 ist der 41-Jährige mit einer Lernbehinderung bereits im Unternehmen tätig. Die Arbeit macht ihm Spaß: "Sonst wäre ich ja schließlich nicht mit umgezogen." Dem von Schulte-Broer als "Arbeitstier" gerühmten Witt werden in der Brauerei auch die schwierigeren Handgriffe in der Mühle oder Spezialaufgaben anvertraut. Die Arbeit bedeutet für Witt vor allem Selbstständigkeit: "Ich wollte unabhängig sein, das habe ich geschafft."

Andere wie Jörg Poppe kamen neu dazu. Ein schwerer Autounfall machte dem Senior des Betriebs ("Einer muss es ja sein.") die gelernte Arbeit als Fleischer unmöglich. Als er von der Ausschreibung in der umgezogenen Brauerei hörte, bewarb sich der Mittfünfziger bei Schulte-Broer mit der Aussage "Ich will das unbedingt." Mittlerweile ist er gut angekommen, die Arbeit macht Spaß und auf das Produkt ist er stolz. "Das Bier ist schon was Besonderes."

Der Enthusiasmus zieht sich durch die ganze Belegschaft. Für das große Volksfest Libori in Paderborn, bei dem die Brauerei auch schon vor dem Umzug immer vertreten war, sollte sich die Belegschaft um 3 Uhr treffen. Nico, mit 21 das Küken der Firma, fragte wie aus der Pistole geschossen: "Morgens?" "Nico will immer arbeiten", sagt Schulte- Broer. "Wenn ich meine Mitarbeiter nicht nach Hause schicken würde, dann würden die ewig arbeiten", so Hentze.

Mittlerweile arbeiten 13 Menschen in der Brauerei, sieben davon mit Behinderung. Die Angestellten arbeiten in der Produktion, der Lagerhaltung und der Reinigung. Auch wenn jeder alles können muss und flexibel eingesetzt wird, gibt es hier einen klaren Favoriten unter den Arbeitsplätzen: die Kontrolle. Am Band zieht hier jede Flasche vorbei und wird inspiziert. Für diesen Berührungspunkt kriegt Schulte-Broer das beste Feedback, denn "hier sehen die Kollegen, was sie geschafft haben."

Gutes trinken. Gutes tun: Mehr als ein Trinkspruch
Bisher ist die Belegschaft noch ausschließlich männlich, aber Schulte-Broer hofft, dass auch bald ein paar Frauen hinzustoßen werden. Auch inklusiv ausbilden will sie in Zukunft, aber dafür muss zunächst alles laufen und ordentlich gewirtschaftet werden.

Bei Kunden wie Helmut Böhmer, der selbst mit dem Haxterpark einen inklusiv geführten Golfplatz mit Gasthof in Paderborn führt, zeigt sich die Wertschätzung deutlich. Nachdem die Brauerei in die Region kam, bemühte er sich sofort, die Biere ins eigene Sortiment aufzunehmen. Böhmers Gasthof führt mittlerweile das Märzen und Dunkle und auch sein glühendes Fazit gilt sowohl dem Produkt als auch dem Prinzip: "Das geht da wirklich einzigartig Hand in Hand. Produktqualität und die Einbettung in den gesellschaftlichen Rahmen." Das Motto des Unternehmens - "Gutes trinken. Gutes tun!"- ziert nicht nur die Rückseite der Flaschen, sondern spiegelt sich auch in der Unternehmensphilosophie wider. "Viele Menschen haben Glück gehabt, andere nicht", sagt Hentze. Für ihn gehe es darum, über Inklusionsunternehmen wie die Brauerei wichtige Anlaufstellen und Chancen für Menschen mit Behinderung aufzubauen. Das müsse zwar über den Preis honoriert werden, aber die Kunden wissen am Ende für welchen guten Zweck.

Hintergrund Inklusionsunternehmen
In Westfalen-Lippe gibt es zurzeit über 170 Inklusionsunternehmen oder -abteilungen in Firmen aus Industrie, Handel und Gewerbe, in denen knapp 2.200 Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Die Betriebe, die zum großen Teil Mitarbeiter mit Handicaps beschäftigen, sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständig. Sie muÌ¿ssen sich wie jedes andere Unternehmen am freien Markt behaupten.

Der LWL unterstuÌ¿tzt diese Firmen mit Mitteln aus der Ausgleichsausgabe, die Unternehmen leisten muÌ¿ssen, die nicht mindestens fuÌ¿nf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeiter:innen besetzen. Die Inklusionsunternehmen bekommen ZuschuÌ¿sse zu Investitionen, betrieblichem Mehraufwand, Betreuung und Lohnkosten. An der Finanzierung beteiligen sich auch die Bundesagentur fuÌ¿r Arbeit, das Land Nordrhein-Westfalen uÌ¿ber das Programm "Integration unternehmen!" sowie die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und die Aktion Mensch. Hinzu kommen Mittel aus dem Förderprogramm "Inklusionsinitiative II - AlleImBetrieb" des Bundes. Die Arbeitsplätze sind im Schnitt deutlich kostengünstiger als die Plätze in den Werkstätten fuÌ¿r Menschen mit Behinderung.

Die LWL-Messe der Inklusionsunternehmen wird präsentiert unter 

lwl-messe.de »

Quelle: LWL-Bericht »

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Die Brauerei-Truppe rund um Gesellschafter Guido Hentze (r.) posiert mit der neuen Dosenproduktion. Foto: LWL/Paul Metzdorf