Weibliche Genitalverstümmelung

Paderborn (krpb). Die kleinen Mädchen würden von ihren Müttern aufgefordert, tapfer zu sein. Ihnen keine Schande zu bereiten. Dann würden sie festgehalten, von ihren eigenen Müttern, Großmüttern, Tanten oder auch Nachbarinnen. Die Beschneiderin nutze eine Rasierklinge, ein Messer, eine Glasscherbe oder einen Dosendeckel, um die weiblichen Genitalien teilweise oder vollständig zu entfernen. Ohne Betäubung. Der Arbeitskreis der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten des Kreises Paderborn und der FrauenRat NRW hatten zu einer Veranstaltung mit Vorträgen ins Paderborner Kreishaus eingeladen, um dieses unsichtbare, lebenslange Leiden an Körper und Seele sichtbar zu machen.

Diese Praktik werde aufgrund tief verwurzelter Traditionen in 29 afrikanischen Ländern sowie in einigen Staaten in Südostasien und im Nahen Osten durchgeführt. Weltweit seien 200 Millionen Frauen und Mädchen betroffen. Alle elf Sekunden werde ein Baby oder kleines Mädchen Opfer dieser Tortur. Die weibliche Genitalverstümmelung (FGM, englisch: female genital mutilation) sei längst in Europa angekommen. Auch in Deutschland lebende Mädchen und Frauen seien nicht sicher. Mitunter geschieht es während eines Familienaufenthalts in ihrem Heimatland. Fachkreise sprechen von so genannten Ferienbeschneidungen, hieß es.

„Kinder können sich nicht allein schützen. Wir müssen auch hier den Blick dafür entwickeln, aufklären und sensibilisieren, damit diese Übergriffe enden“, betonte Landrat Manfred Müller zu Beginn. Ist Beschneidung nur ein Problem afrikanischer Frauen? „Nein“, sagt dazu die Journalistin Renate Bernhard. Beschneidung habe eine 300jährige Medizingeschichte in Europa und den USA.

Die Opfer: Frauen, Männer und intersexuell Geborene. So riet der amerikanische Arzt John H. Kellog 1888 dazu, den Eingriff von einem Arzt ohne Betäubung durchzuführen, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt habe. Die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure sei hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern. Noch bis in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts seien Frauen in europäischen Kliniken die Klitoris verätzt oder beschnitten worden.

Bernhard begegnete 1998 dem Phänomen der weiblichen Genitalverstümmelung. Das Leiden der betroffenen Mädchen und Frauen habe sie seither nicht mehr los gelassen. Sie schrieb diverse Artikel, entwickelte Radio- und TV-Produktionen und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Mädchen und Frauen könnten nur wirksam geschützt werden, wenn man die Wurzeln dieser Rituale ausgrabe. Ursächlich für die weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Gewalt an Frauen und innerhalb der Familie sei eine hierarchisch strukturierte, sexualfeindliche vor den Religionen entstandene, patriarchale Gesellschaftsordnung. Die Jungen, abgerichtet als Soldaten des Patriarchen, wachen über die „Tugend“ der Frauen. Beschneidung, ob bei Jungen oder Mädchen, sei Unterwerfung unter die Macht der Älteren, ein Übergriff der älteren Generation auf das Intimste der Jüngeren, der beendet werden müsse. Sie warb eindringlich für wissenschaftlich fundierte Aufklärung, das Eintreten für die „genitale Selbstbestimmung“, „es geht um die Verteidigung der Menschenrechte für alle Kinder“, betonte Bernhard.

Jawahir Cumar besuchte 1996 ihr Herkunftsland in Somalia. Sie war im August 1988, einen Monat vor ihrem 12. Geburtstag nach Deutschland gekommen. Zwei Schlüsselerlebnisse sollten ihr Leben für immer verändern. In einem Dorf fand die Beerdigung eines kleinen Mädchens statt, das bei der Beschneidung verblutet war. Eine schwangere Frau wäre fast gestorben, weil aufgrund eines fehlenden Ultraschallgerätes nicht erkannt worden war, dass sie Zwillinge erwartete. Das erste Baby kam zur Welt. Die Frau wurde, wie bei beschnittenen Frauen in Somalia üblich, nach der Geburt wieder zugenäht. Sie bekam heftige Schmerzen und wurde ins nächste, 900 km entfernte Krankenhaus nach Mogadischu gebracht. Zu spät für das Kind: Da war das zweite Baby bereits im Mutterleib erstickt.

Cumar gründete den Verein stop mutilation e.V., der mit Organisationen wie TERRE DES FEMMES, Ärzten, Rechtsanwälten, mit Behörden und Fachstellen zusammenarbeitet. Sie ist Geschäftsführerin der einzigen Beratungsstelle in NRW und setzt bei den Ursachen an und auf Aufklärung. Beschneidung gelte als Initiationsritual für den Übergang vom Mädchen zur Frau. Eine nicht beschnittene Frau werde als Prostituierte angesehen. Fachkräfte sollten diese kulturellen Hintergründe kennen und eine Beratung in verschiedenen Sprachen sensibel durchführen. Dazu gehörten auch der Einsatz von Sprach- und Kulturmittlerinnen. In Somalia werden etwa 98 % der Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt.

Beschneidungen haben keine anatomischen Kenntnisse, genießen hohes Ansehen und werden gut bezahlt. Mit dem Einkommen ernähren sie oft ihre Familien. Deshalb müssten den Beschneiderinnen alternative Verdienstmöglichkeiten geboten werden, wie zum Beispiel die Umschulung zur Näherin. Und sie müssten aufgeklärt werden. Viele von ihnen sei der Zusammenhang zwischen gesundheitlichen Problemen und der Beschneidung nicht bewusst. Cumar erläutert, dass die ehemaligen Beschneiderinnen in Aufklärungskampagnen eingebunden würden und eine hohe Glaubwürdigkeit haben. In der Beratungsstelle in Düsseldorf werden Frauen und Mädchen bei gesundheitlichen, kulturellen und rechtlichen Problemen beraten. Cumars Vision „ist eine Welt, in der alle Mädchen und Frauen körperlich unversehrt, frei und selbstbestimmt leben können“.

Die Landtagsabgeordnete Susanne Schneider ist Teilnehmerin des Runden Tisches NRW gegen Beschneidung von Mädchen, der am 6. Februar 2007 ins Leben gerufen wurde, dem internationalen Tag gegen weibliche Genitalbeschneidung. Schneider versprach bei der Veranstaltung, sich im Landtag und am Runden Tisch weiter dafür einzusetzen, besonders auch durch Aufklärungsvideos, die leicht verständlich seien, um Cumars Vision wahr werden zu lassen.

Hintergrund: FMG ist eine gravierende Menschenrechtsverletzung. Sie verstößt gegen nationales und internationales Recht. In Deutschland wird die weibliche Genitalverstümmelung bestraft, auch wenn die Tat im Ausland geschieht. Entscheidend ist der Wohnsitz der Mädchen und Frauen. Die weibliche Genitalverstümmelung hat oft schwere, gesundheitliche Folgen. Der Eingriff selbst kann aufgrund der mangelnden hygienischen Zustände zu Infektionen und Blutverlust führen und sogar tödlich sein. Viele Frauen leiden ein Leben lang unter Angstzuständen, Traumata, Depressionen und chronischen Schmerzen, zum Beispiel auch beim Wasserlassen und Geschlechtsverkehr. Da die Beschneiderin über keine medizinischen Kenntnisse verfügt, werden oft weitere Organe verletzt, zum Beispiel die Harnröhre, was zu Inkontinenz führen kann.

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Weibliche Genitalverstümmelung in Afrika und Europa
Lebenslanges Leiden an Körper und Seele sichtbar machen und beenden – von links nach rechts: Simone Böhmer, Gleichstellungsbeauftragte Kreis Paderborn, Landrat Manfred Müller, Rita Junker, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Lichtenau, Silke Hink, stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Borchen, Andrea Schlichting, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Salzkotten, Elisabeth Rüsing, Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Borchen, Eva Bock, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Büren, Susanne Schneider, MdL und Mitglied Runder Tisch NRW, Astrid Freitag, Mitarbeiterin der Gleichstellungsstelle der Stadt Paderborn, Jawahir Cumar,, stop mutilation e.V., Roze Oezmen, Ratsfrau der Stadt Delbrück, Journalistin Renate Bernhard, Uta Fechler, FrauenRat NRW im Pader