Wohnmedizin sensibilisiert

Lemgo (th). „Der Mediziner mag denken, dass sich der (Innen-) Architekt nur um die optisch ansprechende Auswahl von Materialien und Farben kümmert und der (Innen-) Architekt meint vielleicht, dass Mediziner nur die sind, die den ganzen Tag in Kitteln herumlaufen.“ Mit diesen, auf die Interdisziplinarität der Veranstaltung anspielenden Worten, eröffnet der Hochschulpräsident Professor Dr. Jürgen Krahl das 9. Wohnmedizinische Symposium an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL).

Symposium Wohnmedizin

Das Symposium, welches seit 2011 von Professor Dr. Manfred Pilgramm in Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für Wohnmedizin, Bauhygiene und Innenraumtoxikologie organisiert und moderiert wird, stand dieses Jahr unter dem von den Studierenden ausgewählten Thema „Haustierproblematik“ sowie „Speisevorratslagerung im Haus“.

Die Frage, ob ein Haustier in der Wohnung krank macht oder es einen Hund doch besser auf Kassenrezept gegen Bewegungs- und Frischluftmangel geben sollte, beantwortet Professor Dr. Klaus Fiedler von der Universität Jena in seinem Vortrag mit dem Fazit, dass die positiven sozialen und psychologischen Funktionen eines Hundes als Haustier überwiegen, die Gefahr, sich durch den Kontakt zu Tieren mit Krankheiten wie Zooanthroponosen anzustecken oder Allergien zu entwickeln, dennoch nicht zu unterschätzen sei. „Das Leben ohne Hund ist ein Irrtum“ zitierte er Carl Zuckermayer und ergänzt, dass Hände waschen nach jedem Tierkontakt und regelmäßiges Lüften dazugehören müssen.

Händewäschen nach Tierkontakt

Den direkten Bezug zwischen Haustierhaltung und Hygiene- und Materialschädlingen in Innenräumen stellt Mitorganisator und -moderator Dr. Mario Blei anhand von Beispielen für von Tieren auf den Menschen übertragbare Infektionen, Allergien und Vergiftungen dar. Milben, Flöhe und weitere Insekten können direkte Schädlinge für Mensch, Tier und Raum oder indirekter Hygieneschädling als Träger einer Krankheit sein. Er plädiert dafür, eine Infektion durch Haustiere gegenüber zum Beispiel Schimmelpilzbefall bei der Ursachenforschung von Krankheitssymptomen stärker in Betracht zu ziehen. Auch Blei, welcher im Sommersemester 2019 das Kumulative Modul „Einführung in die Innenraumtoxologie“ an der TH OWL angeboten hat, weist mehrmals darauf hin, dass (Haus-) Tierkontakt und Händewaschen ohne Ausnahme zusammengehören müssen.

Wie ein staatlich geprüfter Schädlingsbekämpfer arbeitet, was er bekämpft und wie Planer vorbeugende Maßnahmen treffen können, darüber referiert Thomas Loose. Ob Mäuse, Ratten, Schaben, oder Wespen – sobald diese Tiere in unsere gebaute Umwelt eindringen und diese zerstören oder zu einer gesundheitlichen Gefahr für uns werden, sind sie als Schädlinge anzusehen und ordnungsgemäß zu entfernen. Auf die Zuschauerfrage, ob „Nutella“ ein geeignetes Mittel gegen Ratten sei, muss er lachen, gibt aber zu, dass die Schokocreme nicht selten als Anlockstoff für Köder verwendet werde.
40 bis 50 % der Krankenhauseinlieferungen aufgrund ungesunder Ernährung

Er habe sich zunächst über die Einladung zu einem wohnmedizinischen Symposium gewundert, leitet Dr. Hermann Kruse vom Institut für Toxikologie und Pharmakologie in Kiel seinen Vortrag ein. Nachdem Professor Dr. Pilgramm seinem Vortragstitel „Toxikologisch bedenkliche Stoffe in unsere Nahrung“ die zwei Worte „zu Hause“ anhing, war die thematische Relevanz klar. Mit der Nahrung nehmen wir täglich giftige Stoffe zu uns, sei es direkt, wie zum Beispiel durch Quecksilber in Fisch oder Nitrat in unserem Trinkwasser, oder indirekt durch Verpackungen wie Polystrol in Coffee-to-go-Bechern.

In Maßen sei dies zunächst unbedenklich, jedoch sei aus seiner Sicht alarmierend, dass 40 bis 50 % der Krankenhauseinlieferungen in Deutschland durch „ungesunde Ernährung“ zustande kämen. Er möchte für umweltbewussten Einkauf und Umgang mit unseren Lebensmitteln sensibilisieren und gibt den Studierenden den Tipp, dass jeder die Trinkwasserqualität bei sich zu Hause im Internet auf den Seiten der Stadtwerke kontrollieren könne: > 80 mg/l Calcium und < 20 mg/l Nitrat seien erste wichtige Richtwerte.

Baubiologe Thomas Jockel und Professor Dr. Wolfgang Plehn vom Umweltbundesamt legen den Fokus auf die wohnmedizinische Bedenklichkeit von Baumaterialien und Innenausstattung. Asbest sei insbesondere bei Sanierungsarbeiten in Häusern, welche vor 1950 gebaut wurden, immer noch ein gesundheitsgefährdendes Thema, da die Asbestfasern, welche zum Beispiel beim Bohren freigesetzt werden, krebserregend seien. Jockel weist dabei ausdrücklich auf die Haftungspflicht von Architekten hin sowie darauf, dass man sich bei Unsicherheit immer an einen Fachmann wenden sollte. Und wer in neu ausgestatten Räumen immer noch denkt „Das ist neu, das muss riechen, das ist normal“ wird von Dr. Plehn, welcher sich für emissionsarmes Bauen einsetzt, eines Besseren belehrt. Geruch heiße nicht gleich schädlich, man denke an Linoleum, aber sobald Reizungen von Nase, Rachen und Hals mit Beschwerden über Geruch zusammenkommen, sollte eine Messung der Innenraumschadstoffe durchgeführt werden.

In der anschließenden Diskussion fordert Professor Dr. Fiedler von der Industrie die Einführung einer verbrauchergerechten Deklaration von Baumaterialien. Nach einem Abschlussquiz, wobei Professor Dr. Pilgramm den Studierenden Fragen zu den sechs Themen der Veranstaltung stellt, schließt die Veranstaltung mit den Worten, dass sich jetzt niemand verrückt machen sollte, weil er gerne Thunfisch esse, den Geruch von renovierten Räumen mag oder einen Hund habe. Jedoch sei hoffentlich eine Sensibilisierung für den Umgang mit Materialien, Tier, Mensch und Gesundheit angestoßen worden.

Text: Billie Kantor

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Es referierten (v.l.): Organisator Professor Dr. Manfred Pilgramm, Thomas Loose, Professor Dr. Wolfgang Plehn, Professor Klaus Fiedler, Thomas Jockel, Dr. Hermann Kruse, Dr. Mario Blei. Foto: Kantor