Projekt: Hochschulen bauen ein Segelboot

Minden (uh). Studierende der Hochschule Bielefeld bauen mit an einem nachhaltigen Segelboot. Organisiert vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) beteiligen sich fünf Hochschulen aus der Region an dem interdisziplinären Projekt "sail.Ing OWL". Die HSBI-Studierenden liefern die wichtige Steuerung und haben dafür eine bewährte Rudertechnik neu interpretiert. 2024 soll das Boot bei der internationalen Studierenden-Regatta 1001 Vela Cup vor Sizilien in See stechen.

 

Der kollegiale Rat war eindeutig: „Lass das lieber sein.“ Ein für Maschinenbauer unüblicher Werkstoff, eine ungewöhnliche Thematik – und das als Studierendenprojekt. Aber Prof. Dr.-Ing. Andreas Tenzler, passionierter Segler und am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI) zuständig für das Lehrgebiet Konstruktionstechnik, reizte die Herausforderung – und so sagte er zu: Gemeinsam mit Studierenden würde er sich am Bau eines nachhaltigen Segelbootes beteiligen und das wichtige Ruder beisteuern.

Vom großen Erfolg ist Tenzler selbst ein bisschen überrascht: Die Studierenden entwickelten in Eigenregie ein innovatives Ruder aus Flachsfaser mit einem speziellen Tragflügel, auch Foil genannt.

Teams von fünf Hochschulen aus der Region beteiligt

Initiiert wurde der Bootsbau als interdisziplinäres Studierendenprojekt sail.Ing OWL vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Mittlerweile sind fünf Hochschulen aus der Region mit Teams zwischen fünf und fünfzehn Lehrenden und Studierenden beteiligt. Die Federführung liegt bei der TH OWL, die das Boot nach dem Vorbild eines Segelboot-Klassikers von 1939 (ein modifizierter International 14‘ nach Plänen von Uffa Fox) auch zusammenbauen wird. Jedes Team übernimmt eine Teilaufgabe von Konstruktion und Bau: vom Rumpf über Ausreitsitz bis zum Mast und – wie im Fall der HSBI – Ruder.

Eigenverantwortlich sollen die Ingenieure in spe Lösungen entwickeln und sie auf das Gesamtprojekt abstimmen. Das gemeinsame Ziel: der Start bei der internationalen Studierenden-Regatta 1001 Vela Cup 2024 vor Palermo.

Wissen praktisch anwenden

Die Idee hinter "sail.Ing OWL" passt hervorragend in das Konzept der Projekte Angewandte Wissenschaft (PAW), die am Campus Minden der HSBI gute Tradition sind. PAWs gehören als feste Bestandteile zu den praxisintegrierten Studiengängen Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen, in denen die Studierenden zugleich in einem Unternehmen beschäftigt sind und abwechselnd Praxisphasen im Betrieb und Theoriephasen an der HSBI durchlaufen. „In den PAWs wird das in den Lehrveranstaltungen erworbene Wissen im geschützten Rahmen praktisch angewendet“, erläutert Prof. Tenzler. „Die Studierenden bearbeiten in interdisziplinären Teams eine praxisnahe Aufgabe, tüfteln und sammeln Erfahrungen.“

Die erste Herausforderung für das PAW sail.Ing OWL, so Tenzler: „Mit den spezifischen Anforderungen des Bootsbaus kannte sich eigentlich kaum jemand aus.“ Das allerdings hat fünfzehn Studierende nicht abgeschreckt, Maschinenbauer wie Wirtschaftsingenieure. Die meisten von ihnen ausgewiesene Landratten, aber konstruktions- und bastelbegeistert. „Etwas selbst zu bauen und ein Material zu verarbeiten, mit dessen Fertigung ich bisher nichts anfangen konnte, hat mich besonders gereizt“, beschreibt Bjarne Essiger von den Wirtschaftsingenieuren seine Motivation.

Denn: Der im Bootsbau verwendete Werkstoff hat es in sich. „Normalerweise arbeiten wir mit Metall. Das ist ein isotroper Werkstoff, dessen Eigenschaften wie Festigkeit oder Elastizität in alle Richtungen gleich sind. Für Segelboote braucht man aber etwas anderes“, erklärt Andreas Tenzler und nimmt ein Stück schwarzen Stoff in die Hand: Kohlefaser. Getränkt mit Epoxidharz ist das heute der Stand der Technik – sehr leicht und mit der Festigkeit von Stahl.

Allerdings reagiert der Faserstoff unterschiedlich, je nachdem, aus welcher Richtung die Kraft wirkt. Tenzler zieht senkrecht am Stoff, nichts rührt sich. Er zieht diagonal, und das gesamte Stoffstück verzieht sich. Für eine zusätzliche Herausforderung sorgte das Reglement der Regatta: Teilnehmen dürfen nur Boote, die zu 75 Prozent aus nachhaltigen Materialien bestehen. „Kohlefaser ist nur schwer abbau- oder recyclebar und deshalb wenig nachhaltig“, sagt Tenzler. Die Studierenden besannen sich deswegen als Alternative auf eine Faser mit langer Tradition in der Region: Flachs. Allerdings mussten sie sich hier erst einmal in die Fasertechnik einarbeiten.

Damit nicht genug, es fehlte noch Know-how auf dem Gebiet der Strömungsmechanik, ein besonders kompliziertes mathematisches Feld: Welche Kräfte walten im Wasser? Wie groß ist der Widerstand, dem das Ruder ausgesetzt ist? In einer detaillierten Liste wurden alle Anforderungen erfasst, inklusive erwünschter Schnelligkeit und Stabilität. Diese wird auch durch das Profil, also die Form des Querschnitts eines Bauteils, beeinflusst. „Hierfür konnten wir immerhin auf eine Datenbank zurückgreifen und ein passendes Profil auswählen. Aber die Werkstoffberechnungen waren trotzdem ziemlich komplex“, erzählt Maschinenbaustudentin Lena Priehs.

Höhenverstellbarer Tragflügel als High-Tech-Komponente

Mit den Ergebnissen erstellte die Konstruktionsgruppe in einem CAD-Programm („Computer Aided Design“) schließlich den kompletten Bausatz des Ruders am Rechner, zusätzlich abgestimmt auf die Vorgaben der TH OWL. Das Kernstück: ein unter Wasser liegender Tragflügel, Foil genannt, der am Ruder angebracht und in der Höhe verstellt werden kann. „Eine echte High-Tech-Komponente“, weiß Priehs, die eine der wenigen erfahrenen Segelnden an Bord des HSBI-Teams ist. „Damit wird das Boot angehoben und kann schneller durch das Wasser gleiten.“

Probieren, verwerfen, verändern, wieder probieren

Fehlte noch die Umsetzung der CAD-Pläne. Eine Gruppe übernahm die im Maschinenbau übliche mechanische Fertigung der Metallteile wie Schrauben, eine andere widmete sich den Besonderheiten des Bootsbaus. Und hier kam der Faserstoff ins Spiel. „Aber der ist nur für die Festigkeit verantwortlich, das Bauteil braucht auch eine Form“, erklärt Maschinenbaustudent Robin Hirsch. Die erstellte ein 3-D-Drucker nach den CAD-Vorgaben aus Kunststoff. „In unserem Fall nachhaltig auf Basis von Maisstärke“, schiebt Tenzler ein. Faserstoff und Kunststoff-Form zusammengebracht ergeben das fertige Bauteil, das Epoxidharz sorgt für eine feste Verbindung der beiden. Tenzler: „Laminieren nennen wir das.“

Auf der Werkbank in der Maschinenhalle am Campus Minden liegt ein Wäschesack, darin ist ein altes Handtuch zu sehen, zusammengepresst von einer dicht anliegenden Plastikhülle. Maschinenbaustudent Robin Hirsch überprüft die ungewöhnliche Konstruktion. „Im Handtuch steckt das Verbindungsstück von Ruder und Boot, wir laminieren es gerade“, erklärt Hirsch. In Betrieben wird für das Verfahren üblicherweise eine Vakuumpumpe eingesetzt.

Die Studierenden haben improvisiert und einen Staubsauger genommen. „So können wir Dellen vermeiden und die Faser sehr dicht auf die Form pressen.“ Die Flachsfaser hatte sich dabei bisweilen etwas störrisch gezeigt. „Wir mussten mit ihr kämpfen. Besonders rund um die Übergänge, etwa beim Foil und der Klemme, mit der es am Ruder befestigt wird, ließ sie sich nur schlecht legen“, beschreibt Robin Hirsch das Problem. Die Studierenden probierten, verwarfen, veränderten, probierten wieder und wieder – und griffen für die sehr kritischen Bauteile schließlich wieder auf die flexiblere Kohlefaser zurück.

Wie beim Verbindungsstück: Vorsichtig öffnet Robin Hirsch den Wäschesack. Schnell füllt sich der mit Luft, das alte Handtuch löst sich und gibt das Bauteil frei: keine Luftbläschen mehr, die Laminierung ist geglückt. „Ja, einen Schönheitspreis gewinnen wir damit nicht“, sagt Hirsch mit Blick auf das schlichte, aber funktionale Teil. Aber dafür vielleicht die Regatta. Und etwas gewonnen hat das Team schon jetzt: „Wir haben alle eine ganze Menge dazugelernt und dabei noch viel Spaß gehabt“, sagt Andreas Tenzler. (uh)

Quelle und mehr: hsbi.de/presse »

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