Archiv: 40 Jahre Schuldienst

Moment mal

Delbrück (ho). Fast 40 Jahre lang unterrichtete Gerda Thebille Schülerinnen und Schüler in Sudhagen und Delbrück. Im Januar 2003 endete ihre aktive Schulzeit in der Johannes-Schule in Delbrück. Wer vier Jahrzehnte im Schuldienst war, der wird viel berichten können, dachten wir uns vor 15 Jahren in der Redaktion von Delbrueck-live.de und fragten sie nach ihren Erinnerungen. Einen umfassenden Rückblick auf vier Jahrzehnte Schulzeit hat sie uns damals abgeliefert mit einer Fülle von Eindrücken zum Schmunzeln und Nachdenken. 

Jetzt im Januar 2018 fragten wir von Blickpunkt-OWL.de Gerda Thebille nochmal, ob wir das Interview von damals noch einmal veröffentlichen dürfen. „Gerne", sagte sie.

Hier nun die Fragen und Antworten aus dem Jahre 2003.

?Frau Thebille, wann und wo begann Ihre Schullaufbahn, und was waren Ihre ersten Eindrücke?

Gerda Thebille Ich begann meine Schullaufbahn Anfang April 1963. Damals fing das neue Schuljahr noch nach den Osterferien an. Meine erste Stelle war an der Kirchschule in Sudhagen. Ich kannte diese Schule bereits schon, denn im Jahr vorher hatte ich während meines Studiums hier ein vierwöchiges Landschulpraktikum absolviert. Danach hatten sich, ohne mein Wissen, der Schulleiter, der Vikar und die Schulpflegschaft der Schule darum bemüht, dass ich an der Kirchschule meine erste Stelle antreten konnte. Eigentlich war ich darüber gar nicht froh, denn ich wäre viel lieber an einer großen Stadtschule als junge Lehrerin angefangen.

Nun radelte ich jeden Morgen die Strecke von ungefähr fünf Kilometern bis zu meiner neuen Arbeitsstelle. Ich hatte mir das flotte Fahrrad schon auf Vorschuss von meinem zu erwartenden ersten Lehrergehalt gekauft.

In den ersten Tagen begleiteten mich mittags nach dem Unterricht häufig einige der großen Jungen aus dem 8. Schuljahr auf ihren Fahrrädern. Oft erwarteten sie mich auch schon morgens auf halber Strecke.

Einer sagte gleich zu Anfang zu mir: „Seu, diu wuss Lährin suin?“ Daraufhin antwortete ich natürlich: „Ja, das will ich.“ Seine anschließende Bemerkung brachte mich doch zum Schmunzeln. Er meinte nämlich: „Nei, dat iss doch nix. Diu moss doch friggen. Dat iss doch viel biäter!“

Die älteren Jungen sprachen zu der damaligen Zeit noch sehr viel Plattdeutsch untereinander. Die Mädchen dagegen redeten nur Hochdeutsch, weil das für sie die „feinere Spraceh“ war.

Für die Damen hatte sich gerade erst die Hosenmode durchgesetzt. In der ersten Zeit meines Schuldienstes hatte ich auch schon bald den Unmut einiger älterer Leute erregt. Ich hatte nämlich, ohne darüber nachzudenken Jungen und Mädchen in der Klase durcheinander gesetzt. Nun waren einige Kinder nach Hause gekommen und hatten Oma und Opa erzählt, dass sie neben einem Jungen beziehungsweise neben einem Mädchen säßen. So wie kleinere Kinder das häufig machen, hatten sie auch gleich gesagt, dass sie ihren Schulnachbarn heiraten wollten, wenn sie groß wären. Es hieß dann: „De nigge Lährin mäket olles anners. In der Schearle mött doch Mäkes bui Mäkes und Jungens bui Jungens sitten!“

?Wie groß waren Ihre ersten Klassen damals, und welche Arbeitsmittel hatten Sie zur Verfügung? 

Gerda Thebille Meine erste Klasse bestand aus 29 Kindern, von denen 20 oder 21 Schüler zum ersten und der Rest zum zweiten Schuljahr gehörten. Die Kinder des zweiten Schuljahres hatte ich nur in zwei Stunden ganz allein für sich. Die Schulanfänger dagegen waren jeden Morgen während des ganzen Unterrichts immer nur mit den älteren Schülern zusammen. Natürlich bekamen sie dann notgedrungen vieles aus dem Unterricht des zweiten Schuljahres mit. Die Kinder waren es gewohnt, wirklich „still“ zu arbeiten oder auch nur „still“ zu warten, bis sie wieder dran waren. Es gab ja zu der Zeit noch nicht die Möglichkeit, Kinder, die mit ihren Aufgaben schon fertig waren, mit irgendwelchen Arbeitsblättern oder Kopiervorlagen mit zusätzlicher Stillarbeit zu beschäftigen.

In den ersten Schultagen war es für etliche Kinder sehr schwer, sich an die neue Situation in der Klasse zu gewöhnen. Manche wohnten in Sudhagen sehr abgelegen und einsam und waren es deshalb nicht gewohnt, mit so vielen anderen Kindern mehrere Stunden lang zusammen zu sitzen und zu lernen.

?Welche Probleme tauchten denn in den Angangsjahren bei der schulischen Arbeit auf? Was mussten Sie selber noch lernen, welche praktischen Erfahrungen sammelten Sie in dieser Zeit?

Gerda Thebille Es gab für mich im schulischen Alltag auch manchmal Schwierigkeiten, die mit den Hausaufgaben zu tun hat­ten. Eine junge Mutter bekam zu Hause oft Ärger mit ihrem Schwiegervater, der es nicht sehen durfte, wenn sie ihren Kindern bei den Schularbeiten helfen musste. Der Opa schickte dann seine Schwiegertochter immer zum Arbeiten in den Stall oder auf das Feld. Er schimpfte: „De Lährer sinn doch för de Blagen tum Lärn do. Dorümme kruiget sei doch auk ähr Chäld!“

Die junge Frau konnte ihm nicht klar machen, dass ihre Kinder schwächer be­gabt waren und deshalb zusätzliche Hilfe von der Mutter bekommen mussten.
So bekam ich auch einmal ziemlichen Ärger mit einem Vater, der wütend in die Schule gekommen war. Ich hatte dem Sohn im zweiten Schuljahr unter sein Diktat, das wieder mal sehr schlecht ausgefallen war, zusätzlich noch geschrie­ben: „Du hast nicht geübt!“ Diese Bemerkung war sicherlich von mir auch un­klug und unüberlegt gemacht worden. Der Mann erklärte mir, dass er sich extra vorher noch Urlaub genommen hätte, um mit seinem Sohn für das Diktat zu üben.

Da kann man sich natürlich vorstellen, dass er sich über die schlechte Note und auch noch über die unverschämte Bemerkung sehr geärgert hatte. Wir beide mussten lernen, dass der Junge schwach begabt war und auch trotz fleißigen Übens von ihm keine überragende Leistungen erreicht werden konnten. Eine junge und noch unerfahrene Lehrerin macht eben noch manche pädagogischen Fehler.

Große Schwierigkeiten und manchen Ärger gab es auch bei der jährlichen Ver­setzung. Einmal bot mir eine Mutter sogar ein halbes Schwein an, wenn ich ih­ren Sohn versetzen würde. Es war zu der damaligen Zeit besonders im Dorf doch eine ziemliche Blamage, wenn ein Kind in der Schule sitzen blieb.

Später wurde ja das sogenannte „Sitzenbleiben“ gesetzlich geändert. Ich finde es sehr gut, dass man jederzeit im Laufe des Schuljahres ein Kind auf Antrag der Eltern wieder zurück versetzen kann. So kann man doch den Kindern, die man als Spätentwickler bezeichnen kann, viel besser gerecht werden.

?Lesen, Schreiben, Rechnen sollten Sie Ihren Schülerinnen und Schülern beibringen. Nach welchen verschiedenen Methoden haben Sie das im Laufe der Zeit gemacht?

Gerda Thebille Bei meinem Dienstantritt als junge Lehrerin bestimmte vor vierzig Jahren in Sudhagen mein damaliger Mentor und Schulleiter für mich gleich die Methode. Es sollte nur die sogenannte „alte“ Methode genommen werden. Das bedeutete, dass die Kinder das Lesen und Schreiben nach der synthetischen Methode erlernen soll­ten. Ich hatte aber im Studium nur die sogenannte analytische Methode kennen gelernt. Damals war die „Westermann Fibel“ im Kreis Paderborn sehr verbreitet. Es wurden sogleich im 1. Schuljahr ganze Wörter und Sätze gelesen und ge­schrieben. Ich jedoch musste jetzt als einzige in unserer Junglehrerarbeitsge­meinschaft mit der „Meine liebe Fibel“ arbeiten, was mir natürlich gar nicht be­hagte.

Aber ich hätte mich damals auf keinen Fall gegen einen Wunsch oder eine Anordnung des Schulleiters gestellt.  So lernten die Schul­anfänger bei mir die einzelnen Buchstaben und setzten sie dann zu Wörtern zu­sammen. Sie schrieben die „Lateinische Ausgangsschrift“ und lernten später erst die Druckschrift. Geschrieben wurde mit Griffeln auf Schiefertafeln. Es kamen aber schon bald die leichten Plastiktafeln heraus. Erst im 2. Schuljahr begannen die Kinder, in Hefte zu schreiben.

Dann kam damals in den Schulen ein ganz entscheidender und pädago­gisch wichtiger Begriff auf, nämlich die sogenannte LRS, das heißt Leserechtschreib­schwäche. Man führte zunächst bestimmte Tests durch, mit denen man diese ausgeprägte Schwäche nachweisen konnte. Dann gab es für die entsprechenden Schüler vom Schulamt Paderborn genehmigte besondere Förderkurse. Die LRS Schüler bekamen auch auf dem Zeugnis einen entsprechenden Vermerk. Ich habe zwar damals die vorgeschriebene zusätzliche Ausbildung als LRS Lehrer absolviert aber selbst keinen LRS Unterricht erteilt. Interessant war je­doch, dass  nach einigen Jahren, nachdem aus finanziellen Gründen die LRS Förderkurse an den Schulen gestrichen wurden, auch allgemein nicht mehr von der LRS gesprochen wurde. Ob es wohl jetzt keine LRS Schüler mehr gibt?

? Und wie war das beim Rechnen?

Gerda Thebille Ebenso kam in der Mathematik die Mengenlehre als eine einschneidende Neue­rung auf. So fuhr ich denn an vielen Nachmittagen zum Förderkurs nach Pader­born. Es wurden damals sogar für die Eltern Kurse von verschiedenen Vereinen oder von der VHS angeboten. Ich musste dann im Mathematikunterricht mit Hilfe von farbigen Plättchen, die sich in der Größe, Farbe und Form unterschie­den, den Kindern beibringen, was eine Schnittmenge, Vereinigungsmenge oder Restmenge war. Gott sei Dank verschwand nach einigen Jahren auch die Men­genlehre aus der Schule. Nicht alle Neuerungen mit modernen Unterrichtsinhal­ten haben sich in der Schule bewährt und als sinnvoll erwiesen.

?Viele Schüler werden sich besonders gern an die Schulendtage und ganz besonders an den Schulausflug erinnern. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Schulendtage und Schulausflüge zurückdenken?

Gerda Thebille Am Ende des Schuljahres gab es für die Schüler des Entlassjahrganges die soge­nannten Schulendtage. Die Kinder des 8. Schuljahres waren dann für drei oder vier Tage in einer Jugendherberge. Ich begleitete natürlich die Mädchen aus Sudhagen und wir waren in der Jugendherberge in Rüthen oder in der Wewels­burg untergebracht. Das waren immer sehr anstrengende aber auch interessante und erlebnisreiche Tage, zumal etliche Kinder aus Hagen zum ersten Mal von zu Hause weg waren. Ein besonderes Erlebnis waren jedes Mal die Jazzmessen. Die Kinder, besonders aber die Mädchen, waren immer ganz begeistert von den netten Patres, die mit Gitarrenklang die flotten Lieder bei der heiligen Messe begleiteten. Am letzten Tag kamen dann die sogenannten Aufklärer. Die Mäd­chen und Jungen hatten dann, natürlich getrennt, Sexualkundeunterricht.

Der Vikar unseres Dorfes war der Meinung, dass dieser besondere Unterricht eigentlich zu spät käme und die Kinder eher aufgeklärt werden müssten. So ka­men dann alle Schulkinder der oberen Klassen zum „Aufklärungsunterricht“, der vom Schulleiter und von mir erteilt wurde. Das war damals für Sudhagen ganz neu und viele Erwachsene waren eigentlich nicht damit einverstanden.

Als dann zwei oder drei Jahre später ein noch sehr junges Paar ein Kind erwar­tete und heiraten musste, wurde die Schuld daran natürlich dem Sexualkunde­unterricht zugeschoben.

? Und wie waren die Schulausflüge?

Gerda Thebille Auf den jährlichen Ausflug freuten sich die Kinder immer schon sehr lange. Wir fuhren nur mit den oberen Klassen in einem Bus. Die Kinder hatten natürlich schon für ihren Ausflug gespart und auch von Opa oder Oma manches Geldstück bekommen, um sich Andenken zu kaufen.

Der Schulleiter hatte mir mal gesagt, ein Ausflug würde in jedem Falle gut sein, wenn die Kinder die Gelegenheit hätten, sich etwas zu kaufen. Auch schlechtes Wetter würde dann nichts ausmachen. Diese Erfahrung machten wir selbst auf einem Ausflug, bei dem es neben einigen Pannen auch den ganzen Tag nur Regen gab. Auf der Rückfahrt entdeckten wir zum Glück noch einen Kiosk, der geöffnet war. Jetzt konnten unsere Ausflügler endlich noch Geld ausgeben, was sie natürlich auch ausgiebig machten. Alle Kinder waren auf der weiteren Rückfahrt sehr zufrieden über ihre Einkäufe von tollen Souvenirs, die zum Teil aus schönen Schneekugeln, Anstecknadeln und kleinen bunten Schnapsgläschen bestanden. Der Ausflug war auf diese Weise gerettet.

Heute hat ein Klassenausflug längst nicht mehr die Bedeutung. Einerseits unternehmen die Kinder mit ihren Eltern schon oft größere Ferienreisen. Zum anderen haben sie auch häufig auf Wochenendfahrten viele interessante Erlebnisse.

?Wann sind Sie nach Delbrück gekommen? Was war in Delbrück anders als in Sudhagen?

Gerda Thebille Im Sommer 1972 ließ ich mich nach Delbrück versetzen. Die katholische Grundschule St. Johannes war zu der Zeit noch dreizügig. Es war hier üblich, eine Klasse zwei Jahre lang zu führen. Man hatte also ein 1. bzw. 2. Schuljahr oder ein 3. bzw. 4. Schuljahr. Diese Regelung hat sich in allen Jahren als gut und sinnvoll erwiesen.

Für mich persönlich hatte die Versetzung nach Delbrück einige positive Seiten. Dadurch dass wir in jedem Schuljahr immer drei Parallelklassen hatten, konnten wir Kollegen uns gegenseitig gut austauschen. Ich übernahm schon mal gerne Tipps von anderen, während ich selbst auch pädagogische Anregungen an Kollegen  weitergeben konnte.

Jedoch hatten wir in Delbrück wieder ganz andere Probleme. Zu der Zeit besaß die Grundschule kein eigenes Gebäude. Wir waren in mehreren verschiedenen Gebäuden untergebracht. Zeitweise hatten wir eine Klasse im „Spritzenhaus“ und eine andere im evangelischen Gemeindezentrum untergebracht. In der Realschule mussten drei Klassen unterrichtet werden und in zwei Pavillons belegten wir zwei bzw. drei Unterrichtsräume. Als wir dann die Klassenzimmer in der Realschule wieder abgeben mussten, wurden kurzerhand vier Klassen nach Nordhagen ausgelagert. Die Delbrücker Schulkinder fuhren alle gerne mit dem Bus nach Nordhagen, denn es gab hier einen großen Schulhof mit einer schönen Spielwiese. Diese war besonders bei den Jungen zum Fußballspielen sehr beliebt. Deshalb kamen die Kinder auch oft ziemlich schmutzig nach Hause.

?Welche Schulklassen unterrichteten Sie in Delbrück?

Nach meiner Versetzung an die St. Johannes Schule in Delbrück hatte ich nicht mehr ausschließlich die Kleinen zu unterrichten. Ich war jeweils Klassenlehrerin von wechselnden 1. bzw. 2. und 3. bzw. 4. Schuljahren. Gab man ein 2. Schuljahr ab, konnte man eine Parallelklasse in den nächsten zwei Jahren unterrichten oder man fing wieder mit den neuen Schulanfängern an.
Manche Klasse mit netten und lieben Kindern gab ich natürlich sehr ungern ab.
Dagegen hatte man auch manchmal Klassen, bei denen man froh war, wenn man sie nach zwei Jahren los wurde. Hinzu kamen ja auch häufig noch Ärger und Schwierigkeiten mit verständnislosen Eltern.
Seit den Schuljahr 1979/80 habe ich jeweils für die Kinder meiner Klassen Erinnerungshefte geschrieben, die sie dann beim Abschlussfest erhielten. Hierin sind in Versform alle besonderen Ereignisse der zwei Schuljahre bei mir festgehalten. Zudem befinden sich Klassenfotos und Unterschriften aller Kinder darin. Bei den 1. und 2. Schuljahren habe ich außerdem eine Sammlung von lustigen Aussprüchen und Bemerkungen der Kinder hinzugefügt. Auf diese Weise besitze ich natürlich auch selbst von meinen letzten 12 Klassen schöne Erinnerungshefte.

? Wie hat sich die Bedeutung von Schrift und Schreiben im Unterricht in den letzten Jahren verändert? Was ist auf den Einfluss von Computer und neue Medien zurück zu führen?

Gerda Thebille Sicherlich kennen noch viele die „Lateinische Ausgangsschrift“, die sehr lange Zeit den Kindern in der Schule beigebracht wurde. Ich erinnere mich noch daran, dass ich in einigen Schönschreibstunden des 4. Schuljahres mit den Kindern sogar noch die „Alte Deutsche Schrift“ geübt habe.

Im Jahre 1985 wurde an unserer Schule eine neue Schrift eingeführt, und zwar die sogenannte VA, die „Vereinfachte Ausgangsschrift“. Diese Schrift ist eine Mischung von Druck- und Schreibschrift. Sie ist auf jeden Fall für die Kinder einfacher zu schreiben. Am günstigsten war es damals, wenn man als Lehrperson die neue Schrift mit den Schulanfängern zusammen lernte.

Ich übernahm zwei Jahre später ein 3. Schuljahr, das mit der VA im 1. Schuljahr angefangen war. In den Sommerferien habe ich zuvor tüchtig geübt, damit ich die neue Schrift auch fließend schreiben konnte .Wenn man nämlich mehr als zwanzig Jahre den Kindern die Lateinische Ausgangsschrift beigebracht hatte, bedeutete es doch eine ziemliche Umstellung.

Meiner Meinung nach wird leider heute nicht mehr so viel Wert auf eine schöne und saubere Schrift gelegt. Bei vielen Arbeitsblättern müssen die Kinder nur sehr wenig schreiben oder auch nur etwas ankreuzen.

Im Computerzeitalter benutzen die Kinder auch in der Schule oft den PC. In meinen letzten Dienstjahren habe ich selbst erst die Arbeit mit dem PC kennen gelernt. Es war für mich sicherlich nicht so ganz einfach und ich machte mit den Schulkindern zusammen auch einige enttäuschende Erfahrungen am PC.

Jedoch meine ich, dass es wichtig ist, auch mit zunehmendem Alter noch die Bereitschaft für Neuerungen zu besitzen.

Der Computer ist meiner Meinung nach auch nur „ein“ Unterrichts- und Arbeitsmittel. Man sollte ihn besonders in den unteren Jahren der Grundschule nicht überbewerten. Es gibt inzwischen sehr gute Programme für die Arbeit mit dem PC. Ich habe jedoch festgestellt, dass in Delbrück schon in den meisten Familien ein Computer steht und deshalb die Kinder zu Hause auch schon früh an den PC kommen.

Nach der Einführung der „ Vereinfachten Ausgangsschrift“ in unserer Schule mussten wir auch so nach und nach alle Schulbücher und Arbeitsmittel auf die neue Schrift umstellen. Das bedeutete natürlich eine ziemliche finanzielle Belastung für unseren Schuletat.

Einige Jahre später fand dann die viel diskutierte und umstrittene „Rechtschreibreform“ statt. Jetzt war schon wieder eine Umstellung aller Schulbücher und Lehrmittel auf die neue Rechtschreibung notwendig. Selbstverständlich achtete man von jetzt an beim Schreiben viel mehr auf die Beachtung der neuen Rechtschreibregeln.

Den Schulkindern fällt es heute immer schwerer, fehlerfrei zu schreiben. Ich meine einfach, sie würden auch allgemein zu wenig schreiben. Jedoch ist es beim Lesen nicht viel besser. Die Kinder sitzen heute viel zu viel vor dem Fernsehapparat. Es wäre schöner, wenn mehr gelesen bzw. auch aus Büchern vorgelesen würde.

?Was so mancher Schülerin und manchem Schüler und den Eltern so viel Stress macht, sind die Zeugnisse. Machen sie auch der Lehrerin und dem Lehrer Stress?

Gerda Thebille Im Schüler- und Lehrerleben gab es häufig schon Probleme mit der Notengebung. Es ist oft nicht einfach, die Schulleistungen der Kinder gerecht zu beurteilen. Aus diesem Grunde sollte durch die Einführung der Berichtszeugnisse den Schülern besser Rechnung getragen werden.

Seitdem erhalten die Kinder des 1. und 2. Schuljahres am Schuljahresende ein ausführliches Berichtszeugnis. Die Schwierigkeiten liegen nur darin, dass die Lehrpersonen eigentlich ihre Beurteilungen positiv ausdrücken sollen.

So schreibt man zum Beispiel einem wirklich faulen Schüler ins Zeugnis: „Er/Sie hat noch nicht die nötige Arbeitshaltung“. Erst im Zwischenzeugnis des 3. Schuljahres erscheinen die ersten Noten, auf die Eltern und Kinder immer schon sehr gespannt sind. Seit zwei Jahren müssen zu den Noten außerdem noch begleitende erklärende Texte auf den Zeugnissen erscheinen.

In der letzten Zeit wurde in den Medien schon die Wiedereinführung von sogenannten „Kopfnoten“ auf den Zeugnissen gefordert. Es sollten also „Führung“, „Beteiligung am Unterricht“ und „Häuslicher Fleiß“ wieder benotet werden. Nach dem Ergebnis der „Pisa Studie“ sollte man in der Schule mehr Leistung und Fleiß fordern. Ebenso will man neben der ausschließlichen Vermittlung von schulischem Wissen auch wieder größeren Wert auf Erziehung in der Schule legen.

Unterrichtet man ein 4. Schuljahr, muss man Gutachten für die weiterführenden Schulen erstellen. Früher wurden diese Beurteilungen der Lehrer zu den entsprechenden Schulen geschickt, ohne dass die Eltern den Inhalt kannten. Es hatte nur vorher ein beratendes Gespräch stattgefunden.

Heute finden die Beratungen über die weitere Schullaufbahn des Kindes schon im Januar statt. Zum Halbjahreszeugnis erhalten die Schüler noch eine schriftliche Empfehlung bezüglich der zukünftigen Schule. Bei der Anmeldung müssen dann das Zeugnis und die Empfehlung vorgelegt werden.

Von Zeit zu Zeit gab es Schwierigkeiten mit Eltern, die ihre Kinder in den schulischen Leistungen ganz anders beurteilten als die Lehrpersonen. Sie sahen nur „ihr“ Kind und hatten somit auch keine Vergleichsmöglichkeiten mit den Leistungen anderer Kinder. Wenn im 4. Schuljahr nur mit Druck vom Elternhaus und manchmal sogar schon mit Nachhilfestunden die Kinder einigermaßen gute Noten erreichten, war doch noch nicht unbedingt gewährleistet, dass sie auch für die entsprechende Schule geeignet waren.
Nach meiner Meinung stellten manche Eltern ihren eigenen Ehrgeiz über das Wohl ihres Kindes.

? Noch einmal zusammengefasst, was hat sich im Laufe der Jahre alles im Schulleben verändert? Was ist unverändert und aktuell geblieben?

Gerda Thebille Pädagogische Arbeit in der Schule hat immer mit jungen Menschen zu tun, die man leiten und führen, aber auch beeinflussen kann. Die Kinder sind heute sicherlich anders als die, die man vor vierzig Jahren in der Schule vor sich sitzen hatte. Die Schüler haben in heutiger Zeit ein ganz anderes freies Auftreten und teilweise eine große Selbstsicherheit. Sie nehmen viele Dinge nicht mehr so ohne weiteres hin, sondern hinterfragen oftmals auf kritische Weise. Das ist natürlich für die schulische Arbeit nicht immer ganz einfach.

Ich persönlich finde es jedoch gut, dass die Schüler heute frei und offen ihre Meinung äußern. Auf der anderen Seite müssen sie aber lernen, dass sie in Unterrichtsgesprächen auch die Meinung der anderen respektieren und zunächst einmal richtig zuhören. Mir fällt immer wieder auf, dass viele Kinder gar nicht mehr fähig sind, dem Lehrer oder auch den Mitschülern  genau zuzuhören. Sie möchten oft nur selbst reden und sich jederzeit zu allem äußern und nur ihre eigene Meinung vertreten. Auch sind die Schüler ständig mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Sie können sich teilweise nur kurze Zeit konzentrieren. Vielfach müssen die Lehrpersonen Arbeitsanweisungen oder Erklärungen im Unterricht zwei- oder dreimal wiederholen.

Auffällig ist auch in heutiger Zeit die große Vergesslichkeit der Schüler. Damit meine ich nicht allein, dass die Kinder ständig irgendwelche Arbeitsmittel für die Schule vergessen haben. Gelernte Texte, Lieder oder Gedichte sind häufig schon nach ganz kurzer Zeit nicht mehr im Gedächtnis. Das ist natürlich für die schulische Arbeit sehr störend und zeitaufwendig, denn ständig müssen irgendwelche Dinge oder Sachverhalte wiederholt werden.

Sicherlich müsste man auch noch erwähnen, dass etliche Schüler in ihrer Freizeit einfach zu viele Stunden vor dem Fernsehapparat sitzen. Wie ich weiß, dürfen viele Kinder, die sogar ihre eigenen Fernseher besitzen, oft unkontrolliert alles sehen, was sie möchten. Hinzu kommen auch noch viele Computerspiele.

In früherer Zeit hatten die meisten Familien mehrere Kinder. Gegenseitige Hilfe und Rücksichtnahme waren daher selbstverständlich, was für die pädagogische Arbeit in der Schule große Vorteile brachte. Heute gibt es viele Familien mit einem oder höchstens zwei Kindern. Leider haben diese oft nicht gelernt, auf andere Rücksicht zu nehmen. Besonders in den Anfangsklassen haben wir vermehrt Schwierigkeiten mit den kleinen „Individualisten“.

Auch durch den Zuzug von vielen ausländischen Familien nach Delbrück. Dadurch haben sich auch viele Änderungen in der Schule ergeben. Kinder aus nicht deutschsprachigen Familien kennen nämlich nicht die Bedeutung von vielen Wörtern, Ausdrücken und Redewendungen. Daher ist es natürlich sehr zeitaufwendig, ständig die entsprechenden Erklärungen im Unterricht zu geben. Große Schwierigkeiten bestehen auch oft mit den Eltern bezüglich der Arbeitsmittel und Hausaufgaben der Kinder.

Nicht nur bei den Schülern sondern auch bei den Eltern sind Veränderungen festzustellen. Es bestehen in der heutigen Zeit häufig Defizite in der Erziehung der Kinder. Vielleicht bedingt durch die Berufstätigkeit vieler Mütter, sind sich etliche Kinder zu Hause häufig allein überlassen.

In der heutigen Zeit übernimmt die Schule manche Erziehungsaufgabe, die eigentlich den Eltern zusteht. Ich denke dabei an den Umgang miteinander z.B. an Freundlichkeit, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft.

Auf der anderen Seite gibt es auch wieder Eltern, die sich ständig in klasseninterne Angelegenheiten einmischen. Da so oft das Elternrecht und der Elternwille betont werden, glauben sie vielleicht, sie hätten die Berechtigung, auch bei allen unterrichtlichen Angelegenheiten mitreden und entscheiden zu dürfen.

Nun möchte ich noch erwähnen, dass es in der Schule auch viele Änderungen in den Unterrichtsmethoden, den Lehrplänen und Lehr- und Lernmitteln gegeben hat. Manche Neuerungen waren oft nur von kurzer Dauer.

Sehr oft wurden auch für die Schule die Lehrpläne geändert. Manchmal kam man jedoch nach einiger Zeit wieder auf alte und bewährte Lerninhalte zurück. Auch die Schulbücher und andere Lehr- und Lernmittel wechselten häufig. Ich persönlich habe mich immer ganz gerne auf neue Bücher umgestellt. Man ist nämlich oft in der Gefahr, im alten Trott weiter zu arbeiten und nichts Neues mehr zu akzeptieren.

Durch pädagogische Konferenzen, junge Kollegen und Lehramtsanwärter habe ich gerne auch von neueren schulischen Trends erfahren. Manches probierte ich aus, fand es gut und sinnvoll und übernahm es. Auf der anderen Seite stellte ich jedoch manchmal fest, dass der betriebene Aufwand im Unterricht in keinem Verhältnis zum Erfolg stand.

Ich glaube, dass es im Lehrberuf sowie auch eigentlich in jedem anderen Beruf in der heutigen Zeit wichtig ist, immer wieder zu lernen und sich weiter zu bilden.

Zum Schluss möchte ich ein Chinesisches Sprichwort erwähnen, das ich schon sehr oft den Schulkindern in ihre Poesie Alben geschrieben habe: Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man wieder zurück!

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Adalbert Höber.

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Gerda Thebille an ihrem Arbeitsplatz
Gerda Thebille an ihrem Arbeitsplatz dem Klassenzimmer in Aktion. 40 Jahre lang nahm sie die pädagogische Arbeit in der Schule voll und ganz in Anspruch.
Ausflug im Sommer 1989
Auf den jährlichen Ausflug freuten sich die Kinder immer schon sehr lange. Für die Klasse 1b ging die Busfahrt im Sommer 1989 zum Tierpark Olderdissen.
Vor 15 Jahren, im Januar 2003, wurde das Inteview mit Gerda Thebille bereits auf Delbrueck-live.de veröffentlicht.