Moment mal: Träume am Feldrand

Erstellt von Adalbert Höber Startseite

Sudhagen (ho). Der Bericht über Knubbels unglaublichen Flug und das traurige Ende hat uns ins Grübeln gebracht. Gibt es denn wohl auch eine Tiergeschichte, die nicht so traurig ausgeht, fragten wir uns in der Redaktion. Moment mal: Wir erinnerten uns an den Bericht Träume am Feldrand, der vor vielen Jahren, 1995 war das, im Delbrücker Kurier stand. Den haben wir rausgesucht und veröffentlichen ihn hier nun noch einmal. So sind wir, wir suchen nach Lösungen. Lesen Sie mal, was wir gefunden haben.

Cora, die Foxterrierhündin aus Sudhagen, war alt geworden. Jetzt sah sie schlecht. Sie hörte schlecht. Sie wurde sehr vergesslich.

Um die Eintönigkeit zu vertreiben, machte sie jeden Tag einen kleinen Spaziergang durch den Garten des Nachbarn bis zu dem Feld hinter dem Garten des Nachbarn. Dort stand sie und sah über das Feld und die angrenzende Wiese, so gut sie noch sehen konnte, und träumte.

Auf diesen Spaziergang und das Träumen am Feldrand wollte sie nicht verzichten, auch nicht, als sie kaum noch etwas sehen konnte und immer größere Mühe hatte, den Weg wieder zurück nach Hause zu finden.

Deshalb hatte sie sich einen Trick ausgedacht. Sie ging immer genau denselben Weg zum Feldrand, drehte sich dort nach dem Träumen um genau hundertundachtzig Grad herum und ging genau denselben Weg in entgegengesetzter Richtung wieder zurück. So kam sie jedesmal sicher bei ihrer Hütte an.

Träumend hatte sie auch an dem kalten Februarnachmittag über das Feld geschaut. Früher als sonst wollte sie diesmal nach Hause. Noch in den Träumen versunken, machte sie sich auf den Weg. Schon nach wenigen Schritten hielt sie an, um zu verschnaufen. Sie fühlte sich heute schwächer als sonst. Müde schlurfte sie weiter.

Dann stolperte sie. Sie rutschte eine kleine Böschung hinunter. Sie rappelte sich auf. Schnell wollte sie zu ihrer Hütte. Sie kraxelte auf der anderen Seite die Böschung hinauf. Zügig tappelte sie weiter. Der Weg zurück kam ihr diesmal so lang vor. Sie versuchte zu rennen.

Plötzlich prallte sie mit dem Kopf auf etwas Hartes. So heftig war der Aufprall, dass ihr schwarz vor den Augen wurde. Dumpf dröhnte es in ihren Schläfen. Die Beine knickten ihr um.

Als sie aus ihrer Benommenheit aufgewacht war, überlegte sie, wie das passieren konnte. Ein panischer Schrecken fuhr ihr dabei in die Glieder. Sie hatte heute nach dem Träumen am Feldrand die Drehung um hundertachtzig Grad vergessen. So war sie nicht auf dem Weg zu ihrer Hütte sondern in entgegengesetzter Richtung weit weg von ihr.

Sie war alt, schwach, beinahe blind, war ihr bewusst. Sie war hilflos. Vor Angst zitterte sie. Sie hoffte, dass irgendetwas geschehen würde. Doch nichts geschah. Das Hoffen half nichts.

Zögernd tastete sie sich an der Mauer entlang, vor die sie gerannt war.

Sie erreichtze das Ende der Mauer. Benommen ging sie in die Richtung weiter, in die sie vorher gangangen war.

Und plötzlich machte sie der Gedanke neugierig, wo sie wohl ankommen würde. Immer neugieriger wurde sie und immer schneller lief sie weiter und weiter und immer weiter.

Sie rannte und rannte. Sie rannte über Wiesen und Felder, durchquerte Täler und Wälder, sprang über Bäche, lief über Straßen und Brücken und rannte und rannte.

Dann versperrte das Meer ihr den Weg.

Sie war beeindruckt von den mächtigen Wellen. Sie genoss das Rauschen der Brandung, sog tief die frische Meeresluft ein und blinzelte über die unendliche Weite des Wassers – und träumte. Sie träumte davon, in den hohen Wellen des Meeres auf und ab zu schweben und von ihnen davon getragen zu werden. Immer mehr wünschte sie es sich, und immer näher trat sie an die Wellen heran, und dann, in einem günstigen Moment sprang sie hinein.

Auf und ab trugen sie die Wellen, zufrieden schwamm sie weiter aufs Meer hinaus.

Sie schwamm ohne Pause Tage und Nächte in die Richtung, in die sie auch zu Fuß gelaufen war. Am fünfzehnten Tag entdeckte sie einen weißen Streifen am Horizont. Sie schwamm näher heran.

Knackig blau war der Himmel. Knackig blau war das Meer. Dazwischen glitzerte in der Sonne märchenhaft weiß das Nordmeereis.

Auf dem Eis sah sie eine große weiße Gestalt. Die kam näher und näher, und schließlich beugte sie sich zu ihr und fragte: „Wer bist du?“ „Ich bin Cora“; sagte sie. „Und wer bist du?“

„Ich bin Eisbär Polarius“; sagte die Gestalt in dem nobel schimmernden Pelz. Er reichte ihr seine Tatze, und Cora stieg aus dem Wasser.

„Wie schön es hier ist“; sagte sie, „wie wunderschön!“

„Woher kommst du?“ fragte der Eisbär.

„Aus Sudhagen“, sagte Cora erschöpft.

„Waauu, aus Sudhagen! Wie schön melodisch das klingt. Sudhagen, das muss weit weg sein von hier“, sagte Polarius. „Wie hast du hierhergefunden?“

„Ich habe die Hundertundachtziggraddrehung vergessen und bin in die verkehrte Richtung gelaufen“, antwortete Cora.

„Was hast du vergessen“, fragte Polarius.

„Vergiss es“, sagte Cora bestimmt, „jetzt bin ich hier und damit gib dich zufrieden.“

„Waauu, bist ja sehr energisch“, sagte Polarius „das gefällt mir. Und wie hübsch du Energische bist. Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben.“

Verträumt sah Cora aufs Meer. Sie schmiegte sich an Polarius.

„Charmeur, Charmeuer!“ sagte sie, „um bei dir zu sein, bin ich hierhergekommen. Die Träume am Feldrand, jetzt sind sie Wirklichkeit.“

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